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Definition Merit-Order-Prinzip und der Merit-Order-Effekt
Inhalt des Wiki-Artikels
- Die Merit Order berechnen
- Preise für Strom nach dem Merit-Order-Prinzip
- Der Merit-Order-Effekt und seine Folgen
- Kritik am Merit-Order-Prinzip
Das Merit-Order-Prinzip bestimmt die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke in Deutschland: Zur Deckung der Stromnachfrage werden zuerst die Kraftwerke eingesetzt, die am günstigsten Energie erzeugen. Der Strompreis wird dabei von dem Kraftwerk mit den höchsten Grenzkosten, das aktiv ist, bestimmt.
Die Merit Order berechnen
Der Begriff Merit Order bezeichnet die sortierte Grenzkostenkurve der Stromerzeugung. Der Begriff stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt „Leistungs-/Wert-Reihenfolge“. Beim Merit-Order-Prinzip werden die Kraftwerke nach ihren jeweiligen Grenzkosten geordnet. Auf diese Weise lässt sich vorhersagen, zu welchen Zeiten die Stromnachfrage mit welchen Kraftwerken am kostengünstigsten gedeckt werden kann. Da sich die Kraftwerksbetreiber bei der Einsatzplanung an den am Markt erzielbaren Strompreisen orientieren, kommt der Merit-Order-Kurve eine wichtige Bedeutung zu.
Zur Erstellung der Merit Order werden die aktuellen Daten zu allen relevanten Kraftwerken inklusive Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) gesammelt und ausgewertet. Berücksichtigt werden die folgenden Kraftwerksdaten:
- Eingesetzter Energieträger
- Elektrischer Wirkungsgrad
- Nettoleistung
Anschließend werden die Grenzkosten der einzelnen Kraftwerke für die Merit Order berechnet. Brennstoffkosten sowie CO2-Zertifikatskosten werden über das Jahr gemittelt. Die Summe der beim Betrieb entstehenden Kosten pro erzeugter elektrischer Megawattstunde (MWh) ergibt die Grenzkosten. Nach dem Merit-Order-Prinzip werden die Kraftwerke aufsteigend nach den berechneten Grenzkosten angeordnet. Während früher vor allem die Brennstoffkosten maßgeblich für die Grenzkosten waren, sind es heute aufgrund der in Gang befindlichen Energiewende CO2-Zertifikatskosten.
Um die Nutzung erneuerbarer Energien bei der Energieerzeugung voranzutreiben und Emissionen zu senken, wurden im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS) Obergrenzen – sogenannte Caps – für die Emissionen bestimmter Treibhausgase festgelegt. Der Emissionshandel funktioniert nach dem Prinzip Cap and Trade. Es gibt eine begrenzte Anzahl an Emissionszertifikaten. Davon wird eine bestimmte Menge den Anlagenbetreibern kostenlos zugeteilt und der Rest versteigert. Im Handelszeitraum 2013 bis 2020 wurden 57 Prozent der Emissionszertifikate versteigert und 43 Prozent kostenlos zugeteilt. Übersteigen die tatsächlich verursachten Emissionen die durch die Zertifikate abgedeckten, muss der Anlagenbetreiber Zertifikate von anderen Betreibern kaufen, die mehr haben als sie brauchen.
Preise für Strom nach dem Merit-Order-Prinzip
Wie viel der Strom kostet, richtet sich beim Merit-Order-Prinzip nach dem Kraftwerk mit den teuersten Grenzkosten, das im Einsatz ist: Es definiert den Börsenpreis. Bei hoher Nachfrage ist der Strom in der Regel teurer als bei niedriger, da mehr Kraftwerke und damit auch weniger kostengünstige zugeschaltet werden müssen. Oder anders ausgedrückt: Die Strompreise ergeben sich aus der Schnittstelle von Angebot und Nachfrage an der Börse. Das letzte Angebot, das einen Zuschlag erhält, wird als Market-Clearing-Price (MCP) oder Markträumungspreis bezeichnet. Für die Einspeisung von Strom erhalten alle Kraftwerke den gleichen Preis ausgezahlt, auch wenn ihre Gebote unterschiedlich waren. Diese Art der Preisbildung wird „Uniform Pricing“ genannt. Kraftwerke, die niedrigere Stromerzeugungskosten haben als das Grenzkraftwerk, gewinnen einen Überschuss. Mit diesem Deckungsbeitrag lassen sich Fixkosten ausgleichen.
Der Merit-Order-Effekt und seine Folgen
Durch die Umstellung der Stromerzeugung ergibt sich der sogenannte Merit-Order-Effekt (MOE). Die Reihenfolge der Kraftwerke in der Merit Order wechselt, da zunehmend mehr Anlagen mit niedrigeren Stromproduktionskosten elektrische Energie ins Netz einspeisen. Photovoltaik- und Windenergieanlagen erzeugen fluktuierend Strom, ihre Grenzkosten tendieren gegen null. Durch sie rutschen Spitzenlastkraftwerke in der Merit Order nach hinten. Dieser Merit-Order-Effekt wirkt sich preisdämpfend auf die Strompreise an der Börse aus: Kraftwerke mit niedrigen variablen Kosten ersetzen Kraftwerke mit höheren Kosten. Die Folge ist, dass der Strompreis auf der Großhandelsebene sinkt.
Kritik am Merit-Order-Prinzip
Das Merit-Order-Prinzip ist ein statistisches Beschreibungsmodell, das die kurzfristige Strompreisgestaltung abbildet. Es ist jedoch nicht für die langfristige Kalkulation von Strompreisen geeignet. Dazu bedarf es nämlich eines Strommarktmodells, das weitere Faktoren berücksichtigt, wie zum Beispiel:
- Einsatzzeit der Kraftwerke
- Zubauten
- Stilllegungen
- Fixkosten
Kritisch wird am Merit-Order-Modell gesehen, dass die hohen Investitions- und Rückbaukosten von Atomkraftwerken nicht richtig abgebildet sind. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Merit-Order-Prinzip die Vermarktung des gesamten Stroms über die Börse voraussetzt. Tatsächlich wird aber nicht der gesamte Strom vermarktet, denn manche Anlagenbetreiber verbrauchen ihren Strom teils selbst. Die Preisbeeinflussung erfolgt also nicht allein durch das Merit-Order-Modell, auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Neben den Grenzkosten müssen andere Einwirkungen berücksichtigt werden, um das Potenzial der erneuerbaren Energien, Einfluss auf die Strompreise zu nehmen, realistisch beurteilen zu können. Der tatsächliche Kraftwerkseinsatz lässt sich nicht allein durch das Merit-Order-Prinzip erklären. Unter anderem wirkt sich auf den Kraftwerkseinsatz aus:
- Technische Restriktionen
- Eigenverbrauchsoptimierungen
- Regulatorische Anreize wie z. B. vermiedene Nutzentgelte, KWK-Förderung
Das Merit-Order-Prinzip erklärt also lediglich die grundsätzliche Funktionsweise des Strommarkts. Kritik wird außerdem deswegen geübt, weil nach dem Merit-Order-Prinzip Kraftwerke, die mit emissionsintensiven Brennstoffen Strom erzeugen, aufgrund ihrer niedrigen Grenzkosten gegenüber Dampfturbinen- und Gaskraftwerken bevorzugt werden. Emissionsintensive Steinkohlekraftwerke kommen noch vor hocheffizienten Gas- und Dampfturbinenkraftwerken zum Einsatz. Aufgrund sinkender Betriebsstunden können diese Kraftwerke dann oft nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden, zudem besteht kein Anreiz, neue zu bauen. Dazu kommt, dass schwerfällige Stein- und Kohlekraftwerke nicht zur Stromerzeugung der Zukunft in Deutschland passen, denn da Windkraft und Solarenergie Fluktuationen unterliegen, müssen andere Kraftwerke häufig hoch- und heruntergefahren werden, damit dem Bedarf entsprechend Strom ins Netz eingespeist wird. Zu einer Angleichung der Grenzkosten von gas- und kohlebefeuerten Kraftwerken kam es 2020 aufgrund des CO2-Zertifikatpreises von 20,1 Euro pro Tonne.
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