energiekrise-deutschland-header-energiewende-aktuell-net4energy

Die aktuelle Energiekrise in Deutschland

Über diesen Artikel

Lesezeit

7 Minuten

Veröffentlichung

09.11.2022

Letztes Update

09.11.2022

So manchen Bürger hat der schnelle Ausbruch der Energiekrise in Deutschland überrascht. Wir klären die Hintergründe und wagen einen Blick in die Zukunft.

Inhalt des Blogartikels

Warum sprechen wir von einer Energiekrise Deutschlands?

Eine Energiekrise tritt ein, wenn in einem Land die benötigten primären Energieträger wie Erdöl, Erdgas, Kohle nicht in ausreichender Menge bereitgestellt werden können. Auch Preisanstiege weit über dem normalen Preisniveau führen zu einer Energiekrise, da in dem Fall viele Verbraucher die Energie nicht mehr bezahlen können. Meist gehen beide Vorgänge Hand in Hand. Es ist ein grundlegendes Marktgesetz, dass der Preis einer Ware durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Trifft eine große Nachfrage auf ein unzureichendes Angebot, steigen die Preise.

Die Ursachen für einen solchen gesellschaftlichen Zustand sind vielfältig. So war bei der Ölkrise von 1973 der sogenannte Jom-Kippur-Krieg, bei dem ägyptische und syrische Truppen Teile des israelischen Staatsgebietes angriffen, Auslöser. Israel konnte die Angriffe mit Hilfe der USA zurückschlagen und den Krieg siegreich beenden. Im Ergebnis belegte die OPEC (Organisation erdölexportierender Länder) die USA mit einem Lieferstopp und drehte damit praktisch der ganzen westlichen Welt den Ölhahn zu.

Auf Deutschland hatte diese Entwicklung dramatische Auswirkungen. Die Preise für Kraft- und Brennstoffe stiegen stark an und die Wirtschaft stürzte in eine Rezession. Die Bundesregierung reagierte mit einer Reihe von Maßnahmen. Im Verkehrssektor wurden zum Beispiel zeitweilige Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen und Landstraßen sowie strenge autofreie Sonntage eingeführt. Zur Verringerung der Abhängigkeit von Erdöl beschloss die Regierung den Bau von 40 Atomkraftwerken.

Übrigens wurde damals auch die Sommerzeit eingeführt, um das Tageslicht besser auszunutzen und somit Strom für die Beleuchtung zu sparen.

In diesem Beispiel hat die ausgelöste Energiekrise politische Ursachen. Es sind jedoch auch natürliche Ursachen denkbar. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn sich in einem Land die Lagerstätten eines Energieträgers erschöpfen und auf dem Weltmarkt mangels Angebots kein adäquater Ersatz gefunden wird.

 

Status Quo zur Energiekrise in Deutschland

Es gibt verschiedene Faktoren, die Einfluss auf unsere Energiewirtschaft haben. Nachfolgenden erklären wir dir die wichtigsten Begriffe.

Inflation

Ein jährlicher Anstieg der Verbraucherpreise im unteren einstelligen Prozentbereich ist ganz normal. Infolge der weltweiten Corona-Pandemie ist die Inflation allerdings angewachsen. Da machen die Energiepreise keine Ausnahme. Eine regelrechte Preisexplosion kannst du jedoch seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine beobachten. Offiziell liegt sie in Deutschland unter 10 Prozent. Das liegt aber daran, dass zur Berechnung ein Warenkorb betrachtet wird, der mit den realen Erfahrungen der Bürger nicht übereinstimmt. Außerdem sind die Energiepreise nicht inkludiert. Und auch bei den wöchentlichen Einkäufen für die Familie wird deutlich, dass die Preise vieler Lebensmittel weit stärker gestiegen sind als um 10 Prozent.

Noch viel stärker sind jedoch die Energiepreise gestiegen. Und da zur Herstellung und zum Transport jedes Produktes, auch von Lebensmitteln, Energie in Form von Strom und/oder Wärme benötigt wird, wirken sich höhere Energiepreise direkt auf die Preise der Produkte aus. Hohe Kosten für Gas, Erdöl und Strom treiben somit die allgemeine Inflation.

 

Warum haben wir eine Energiekrise?

Hier spielen viele Gründe eine Rolle. Wir werden uns nachfolgend auf die hauptsächlichen Ursachen beschränken.

Atomausstieg

Bereits 2000 hat die Bundesregierung einen Fahrplan für den Ausstieg aus der Stromerzeugung mit Atomkraftwerken (AKW) beschlossen. Hintergrund war die riskante Technologie mit der Gefahr eines atomaren Super-GAUs und die ungeklärte Frage der Endlagerung der verbrauchten Brennstäbe. Unter dem Eindruck der Katastrophe im japanischen AKW Fukushima wurden die Pläne nochmals gestrafft. Planmäßig sollten die letzten 3 AKW Ende 2022 vom Netz.

Kohleausstieg

In den letzten Jahrzehnten wurde deutlich, dass sich das Klima der Erde erwärmt und sich dieser Prozess zudem rapide beschleunigt. Bereits sichtbare Folgen sind selbst in Mitteleuropa vermehrte Dürreperioden und gleichzeitig das häufigere Auftreten von Unwettern und Starkregen. Weltweite Gletscherschmelze und ein Anstieg des Meeresspiegels sind weitere Folgen.

Als Ursache haben Wissenschaftler den durch uns Menschen verursachten Anstieg des klimaschädlichen Gases CO₂ in der Atmosphäre identifiziert. Ein Großteil davon entsteht bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle bei der Stromerzeugung und beim Heizen. Deshalb hat die Bundesregierung einen Ausstieg aus der Kohleverstromung beschlossen, der ursprünglich 2038 abgeschlossen sein sollte. Die aktuelle Regierung will das sogar bis 2030 schaffen.

Erneuerbare Energien

Werden AKWs und Kohlekraftwerke abgeschaltet, muss der dadurch fehlende elektrische Strom auf andere Weise bereitgestellt werden. Das sollen die sogenannten erneuerbaren Energien schaffen und dieser Prozess des Umbaus trägt die Bezeichnung Energiewende. Erneuerbare Energien sind vor allem Sonne und Wind sowie, in kleinerem Maß, Wasserkraft und Biomasse. Es sind Energien, die praktisch unerschöpflich sind. Sie müssen nicht mit Bergbauverfahren gefördert werden und bei ihrer Umwandlung in Strom oder Heizwärme wird kein CO₂ ausgestoßen.

Es gibt jedoch 2 Probleme. Der Aufbau von Kapazitäten, die den wachsenden Bedarf auch in Zukunft decken, dauert Jahrzehnte. Und Wind sowie Sonne können nur dann Energie liefern, wenn sie aktiv sind. Nachts scheint jedoch keine Sonne und in Deutschland herrscht auch öfter Windstille. Die unstete Arbeitsweise kann durch Speichersysteme aufgefangen werden. Im Moment verfügen wir allerdings nur über minimale Speicherkapazitäten – und deren Aufbau braucht ebenfalls Jahrzehnte.

Erdgas

Für die Übergangszeit, bis erneuerbare Energien unseren Bedarf vollständig decken, soll Erdgas als Energielieferant dienen. Erdgas kann sowohl zur Stromerzeugung als auch für die Heizung verwendet werden. Es ist zwar auch eine fossile Energiequelle. Bei seiner Verbrennung wird aber vergleichsweise weniger CO₂ freigesetzt als bei Kohle oder Öl. Es ist also umweltfreundlicher und schädigt das Klima nicht so stark.

Das Problem ist jedoch, dass Deutschland Erdgas importieren muss. Unser Land verfügt zwar über Lagerstätten, die unseren Bedarf während der nächsten 30 Jahre decken könnten. Aber die Förderung müsste mit dem umweltschädlichen Fracking-Verfahren erfolgen. Aus diesem Grund ist seine Förderung hier verboten.

Unser größter Lieferant mit zuletzt 55 Prozent Anteil am Gesamtbedarf war bislang Russland. Die Preise waren günstig und der Transport durch schon länger bestehende und die neu gebaute Pipeline Nordstream 1 unkompliziert. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und die durch die EU verhängten Sanktionen ist dieser Bezugsweg versperrt.

Deutschland muss jetzt das Gas auf dem Weltmarkt kaufen. Die Lieferanten verlangen allerdings mehrfach höhere Preise. Gleichzeitig können Sie diese Mengen, zumindest kurzfristig, nicht vollständig bereitstellen.

 

Preisentwicklung von Gas und Strom (und weiteren Energiequellen)

Die Preise von Gas und Strom steigen derzeit permanent. Der Anstieg begann zwar schon im 2. Halbjahr 2021. Aber mit Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine hat die Dynamik extrem zugenommen. Im September 2021 konnte ein Neukunde im Schnitt einen Gasvertrag mit einem Preis um die 5 Cent pro Kilowattstunde (kWh) erhalten. Aktuell liegt der Preis bei 39,5 Cent. Gegenüber dem Preis vom September 2021 beträgt die Steigerung fast 700 Prozent. Bestandskunden werden bislang noch nicht mit so hohen Steigerungen belastet. Aber auch hier sind mehrmalige Anpassungen im Lauf eines Jahres möglich. Hinzu kommt noch die Gasumlage. Ab 01.10.2022 wird auf jede verbrauchte kWh ein Zuschlag von 2,419 Cent (plus Mehrwertsteuer) erhoben. Diese Regelung gilt bis Ende März 2024.

Wer kann, versucht wegen der hohen Gaspreise auf Heizungsalternativen umzusteigen. Die Brennholzhändler berichten von gestiegener Nachfrage, die sie oft nicht bedienen können. Dadurch steigen auch hier die Preise. So erzählt ein hessischer Holzhändler, dass er aktuell für den Schüttkubikmeter Brennholz 130 Euro berechnet. Dieser Preis entspringt allerdings seiner sozialen Ader. Zur Erzielung seiner langjährig üblichen Marge müsste er 160 bis 180 Euro beanspruchen. Damit hätte sich der aktuelle Preis gegenüber den 80 Euro vom Vorjahr mehr als verdoppelt. Ähnlich sieht es bei anderen Brennstoffen wie Holzpellets, Heizöl oder Flüssiggas aus.

Experten sehen vorerst einen anhaltenden Trend steigender Preise für Gas und Strom. Wie sich die Entwicklung konkret gestaltet, hängt aber davon ab, ob sich die Gasversorgung für Deutschland in den nächsten Monaten durch Erschließung weiterer Lieferanten entspannt. Einfluss hat auch der Gaspreis am Weltmarkt.

 

Wie begegnet Deutschland der Energiekrise?

Die Bundesregierung arbeitet im Wesentlichen auf drei Feldern, um die Krise abzumildern. Ein Teil der Maßnahmen dient dazu, die fehlenden Gasmengen, die Russland nicht liefert, zumindest teilweise von anderen Lieferanten zu decken. Dazu wird versucht, die Gasmengen bei aktuellen Lieferanten zu erhöhen und weitere Quellen zu finden. Um auch verflüssigtes Erdgas per Schiff nutzen zu können, werden entsprechende Terminals gebaut. Ganz aktuell ist eine Vereinbarung mit Frankreich, sich bei Notwendigkeit gegenseitig zu unterstützen. Deutschland soll in dem Fall Strom liefern und Frankreich Gas.

Ein zweites Tätigkeitsfeld ist die Einsparung von Energie. Seit 01.09.2022 gilt eine Verordnung, wonach offizielle Gebäude nachts nicht mehr angestrahlt werden. Leuchtreklamen und die Beleuchtung von Schaufenstern soll ab 22 Uhr ausgeschaltet werden und Türen von Geschäften dürfen nicht mehr dauerhaft geöffnet sein. Für Behördenbüros gilt eine maximale Raumtemperatur von 19 °C und Flure in diesen Gebäuden sollen gar nicht erst beheizt werden. Vermietern ist es gestattet, die Heizung herunterzudrehen, selbst wenn Klauseln in Mietverträgen höhere Temperaturen festschreiben. Auch in Unternehmen darf weniger geheizt werden als laut Arbeitsstättenverordnung festgelegt ist. Diese und weitere Maßnahmen gelten über 6 Monate. Ein zweites Paket soll ab 01.10.2022 für zwei Jahre gelten, ist aber noch nicht beschlossen. Hierin sind unter anderem folgende Maßnahmen fixiert:

  • Pflichten zum Heizungscheck von Gasheizungen innerhalb der nächsten 2 Jahre,
  • die Durchführung eines hydraulischen Abgleichs bei Heizungsanlagen größerer Gebäude,
  • die Verpflichtung für Unternehmen zur Durchführung von Energiesparmaßnahmen, wenn sie einen Energieverbrauch ab 10 Gigawattstunde (GWh) pro Jahr haben.

Im dritten Bereich geht es um die Entlastung von Bürgern und Unternehmen von den hohen Energiepreisen und der Inflation. Das aktuelle dritte Entlastungspaket hat einen Umfang von 65 Milliarden Euro. Folgende Maßnahmen zielen auf die hohen Energiekosten:

  • Einführung einer Strompreisbremse für den Basisverbrauch eines Haushalts,
  • Einmalzahlung einer Energiepreispauschale für Rentner in Höhe von 300 Euro,
  • Einmalzahlung einer Energiepreispauschale für Fachschüler und Studenten in Höhe von 200 Euro,
  • einmaliger Heizkostenzuschuss für Bezieher von Wohngeld,
  • Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf 7 Prozent bis März 2024,
  • Schiebung der geplanten Erhöhungen des CO₂-Preises.

Außerdem wird die Koalition ein Programm für energieintensive Unternehmen auflegen, die die gestiegenen Energiekosten nicht an ihre Kunden umlegen können.

 

Welche Alternativen haben wir?

Trotz der ungünstigen Situation haben es Regierung, Bundesnetzagentur und Versorger geschafft, die Anfang des Jahres fast leeren Gasspeicher auf bereits über 86 Prozent Gesamtkapazität zu füllen. Wenn bis Anfang November der geplante Füllstand von 95 Prozent in den Gasspeichern erreicht wird, können wir einigermaßen beruhigt dem Winter entgegensehen.

Ansonsten bleibt uns für die nächsten Wochen und Monate, die oben genannten Maßnahmen umzusetzen. Wir sollten uns alle auch im privaten Bereich Gedanken machen, wie wir selbst noch mehr Strom und Gas sparen können.

Noch in der Diskussion ist die Frage, ob es sinnvoll ist, die letzten 3 noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke zumindest zeitweise weiterzubetreiben. Sie könnten dazu beitragen, dass weniger Gas für die Stromerzeugung benötigt wird.

Langfristig werden die beim letzten Staatsbesuch in Kanada intensivierten Beziehungen zu diesem Land Früchte tragen. Kanada könnte sowohl Erdgas als auch Wasserstoff als zukünftige emissionsfreie Energiequelle liefern. Da die Lieferungen per Schiff erfolgen müssen, hat Deutschland mit dem Bau von Flüssiggasterminals Voraussetzungen zu schaffen. Auch Kanada muss investieren, um die Lieferungen zu gewährleisten.

Parallel besteht die Aufgabe, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen, smarte Netze und eine ausreichende Speicherinfrastruktur zu schaffen und so möglichst schnell den Bedarf an Erdgas für die Verstromung zu minimieren. Es ist Aufgabe der Regierung, die notwendigen Anreize dafür zu setzen.

Es reicht jedoch nicht, Erdgas nur aus der Stromerzeugung zu eliminieren. Aktuell hat Erdgas immer noch einen Anteil von fast 50 Prozent am Heizungsmarkt. Daher müssen auch auf diesem Gebiet Anstrengungen unternommen werden, um im großen Umfang auf regenerative Energieträger umzustellen. Dazu bieten sich thermische Solaranlagen und Wärmepumpen an. Ihr Einsatz wird schon seit einiger Zeit im Rahmen des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) und der Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude (BEG) unterstützt.

Die Bundesregierung ist schon einen Schritt weitergegangen und verbietet die Installation neuer Erdgasheizungen ab 2024.

 

Wann werden sich die Preise normalisieren – wenn überhaupt?

Es ist politisch nicht gewollt, weiter fossile Energieträger aus Russland einzusetzen. Solange Erdgas benötigt wird, muss es zu Marktpreisen auf dem Weltmarkt beschafft werden. Die Förderländer können ihre Liefermengen nicht beliebig erhöhen und dadurch die früher von Russland bezogenen Mengen ohne weiteres ersetzen. Das Angebot bleibt knapp, die Beschaffungspreise werden nicht signifikant sinken. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die Verbraucherpreise für Gas und Strom in den nächsten Jahren wieder das Niveau aus der Zeit vor Krisenbeginn erreichen werden.