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Atomkraftwerke: Nachhaltigkeit & AKW-Verlängerung

Über diesen Artikel

Lesezeit

6 Minuten

Veröffentlichung

02.12.2022

Letztes Update

02.12.2022

Mittlerweile gestehen Regierungskreise, dass Deutschland neben dem Gas- auch ein Stromproblem hat. Dennoch gibt es um die letzten 3 AKW eine große Diskussion. Warum ist das so? Könnten Atomkraftwerke die gegenwärtige Energiekrise in Deutschland eventuell sogar lindern?

Inhalt des Blogartikels

Atomkraftwerke in Deutschland: Status Quo zur Nachhaltigkeit und AKW-Verlängerung

Unter dem Eindruck der Erdölkrise der 1970er Jahre beschloss die damalige Bundesregierung die verstärkte Nutzung von Atomenergie zur Stromerzeugung. Ziel war, die Abhängigkeit von Erdöl zu verringern. Doch am 26. April 1986 ereignete sich das Reaktorunglück im Kernkraftwerk Tschernobyl, das diese Strategie infrage stellte.

Seither wurden in Deutschland keine Atomkraftwerke (kurz: AKWs) mehr in Betrieb genommen. 2000 beschloss die rot-grüne Bundesregierung den Wiederausstieg aus der Kernenergie. Zu diesem Zeitpunkt waren insgesamt 19 Kernkraftwerke am Netz. Die Regierung legte mit den Energieversorgern für jedes AKW die maximal zu produzierende Strommenge fest.

Dabei wurde eine Laufzeit von 32 Jahren zugrunde gelegt. Nach diesen Festlegungen wäre der Ausstieg aus der Atomkraft bereits Ende 2020 beendet gewesen. 2010 beschloss jedoch die damalige christlich-liberale Bundesregierung eine Laufzeitverlängerung um 14 Jahre für sämtliche nach 1980 gebaute Atomkraftwerke. Der Bundestag bestätigte die entsprechende Änderung des Atomgesetzes.

Dann ereignete sich am 11. März 2011 ein heftiges Erdbeben in Japan, bei dem mehrere Kernkraftwerke, insbesondere das AKW Fukushima, sehr schwer beschädigt wurden. Bei mehreren Reaktorblöcken bestand die Gefahr einer Kernschmelze. Radioaktives Material gelangte in die Umgebung des Kraftwerks.

Die Ereignisse machten die Risiken der Nutzung von Atomkraft erneut drastisch sichtbar. Das führte letztlich dazu, dass die Bundesregierung die wenige Monate zuvor vereinbarte Laufzeitverlängerung revidierte und schließlich den endgültigen Atomausstieg bis Ende 2022 beschloss.

Auf der Grundlage dieser Beschlüsse wurden Ende 2021 3 der letzten 6 AKW vom Netz genommen. Für die aktuell noch 3 genutzten Kernkraftwerke galt bislang das Jahresende 2022 als Zeitpunkt der Außerbetriebnahme.

Die aktuell noch laufenden Kernkraftwerke wurden auf den Stilllegungszeitpunkt hin betrieben. Das heißt, turnusmäßige Sicherheitskontrollen und Wartungsmaßnahmen geschahen unter dem Gesichtspunkt der baldigen Stilllegung. Die Brennstäbe erreichen zum Jahresende ihre nominelle Betriebszeit.

 

Wie funktionieren AKWs?

Die Funktion eines Atomkraftwerks basiert auf der Kernspaltung. Bei diesem Vorgang zerfällt ein schwerer Atomkern in zwei mittelschwere. In diesem Prozess entsteht Wärme – es werden Neutronen freigesetzt. Diese Neutronen bewirken die Spaltung weiterer Atomkerne.

Im Grunde handelt es sich um den gleichen Prozess wie bei einer Atombombenexplosion. Allerdings wird die Kernspaltung durch technische Maßnahmen stark verlangsamt, sodass es nicht zur Explosion kommt. Dazu befinden sich im Reaktor sogenannte Steuerstäbe, die die Zahl freier Neutronen verringern. Als spaltbares Material werden Stäbe aus radioaktivem Uran verwendet.

Die durch den Kernspaltungsprozess entstehende Wärme wird genutzt, um heißes Wasser und schließlich Wasserdampf zu erzeugen. Der Wasserdampf treibt Turbinen mit angeschlossenen Generatoren an, die den Strom erzeugen. Ein AKW produziert den Strom letztlich auf die gleiche Art, wie thermische Kraftwerke, die Öl, Gas oder Kohle als Brennstoff nutzen. Nur die Wärmeerzeugung erfolgt auf andere Weise.

Im Reaktor eines Kernkraftwerks entsteht neben Wärme auch sehr viel radioaktive Strahlung. Das im Reaktorkreislauf befindliche Wasser wird dadurch ebenfalls radioaktiv. Diese Strahlung ist gesundheitsschädlich und lebensgefährlich. Das heiße Reaktorwasser wird deshalb nicht direkt für die Stromerzeugung genutzt.

Es gibt seine Wärmeenergie über einen Wärmetauscher an den Turbinenkreislauf ab. Der Wärmetauscher isoliert beide Kreisläufe gegeneinander, sodass keine Radioaktivität mit übertragen wird. Darüber beinhaltet ein AKW eine ganze Reihe weiterer technischer und baulicher Maßnahmen, die ein Ausbrechen radioaktiver Strahlung verhindern.

 

Wie sehen aktuelle Debatten zur AKW-Verlängerung aus?

Relativ schnell nach Beginn der Einschränkung der Erdgaslieferungen aus Russland kam von verschiedenen Seiten die Forderung auf, die Laufzeit der verbliebenen 3 AKW zu verlängern und sogar die 2021 stillgelegten 3 Kraftwerke wieder hochzufahren. Die ersten Gegenargumentationen waren: Deutschland hätte ein Gas-, aber kein Stromproblem.

Gaskraftwerke spielen allerdings eine große Rolle bei der Stromerzeugung in Deutschland. Ein nächstes Argument der Kernenergie-Gegner bestand darin, dass ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke über den Stilllegungstermin hinaus nicht sicher gewährleistet werden könnte. Außerdem wäre die notwendige Beschaffung neuer Brennstäbe in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

Beide Argumente wurden durch Experten vom TÜV und von den Kraftwerksbetreibern widerlegt. Darüber hinaus haben die Befürworter von Kernkraftwerken die Möglichkeit eines sogenannten Streckbetriebs in die Diskussion eingebracht. Bei einem Streckbetrieb wird die Restkapazität der Brennstäbe für einen zeitweiligen Betrieb mit verminderter Leistung genutzt. Er dient dazu, die kritische Winterzeit, bei der Blackouts drohen könnten, zu überbrücken.

Die Gefahr von Blackouts im Winter entsteht dadurch, dass Sonne und Wind mittlerweile fast 50 Prozent des Strombedarfs in Deutschland decken. Aber im Winter kann Photovoltaik durch die geringere Sonneneinstrahlung nicht so viel Strom liefern, wie benötigt. Und auch die Windintensität ist im Winter geringer. Der Weiterbetrieb der AKWs könnte in dieser Situation für mehr Versorgungssicherheit dienen.

Aufgrund dieser Situation hat Wirtschaftsminister Habeck die Durchführung von Stresstests zur Stromversorgung veranlasst. Erschwerend kommt hinzu, dass das deutsche Stromnetz eng mit den Stromnetzen der Nachbarländer verknüpft ist. Unsicherheiten in einem Ländernetz wirken sich demnach in allen europäischen Netzen aus. Dieser Sachverhalt wurde bei den Stresstests berücksichtigt.

Als Kompromiss verfügte der Wirtschaftsminister, dass das AKW im Emsland wie geplant Ende 2022 stillgelegt wird. Die beiden süddeutschen AKW sollen in eine Reserve überführt und bei Bedarf ans Netz geschaltet werden. Fachleute halten das für technisch nicht realisierbar. Ein abgeschaltetes Kernkraftwerk benötigt bis zu einer Woche, bis es hochgefahren ist.

Der aktuelle Plan des Wirtschaftsministeriums lautet, die beiden Kraftwerke im Betrieb zu halten, ohne dass sie Strom ans Netz liefern. Das würde zwar ermöglichen, dass die AKWs im Bedarfsfall schnell ans Netz gehen könnten, ist jedoch nicht wirtschaftlich. Bei dieser Art des Weiterbetriebs fallen Kosten in voller Höhe an, die dann mangels Stromverkauf nicht gedeckt sind.

 

So steht es um die Nachhaltigkeit von Atomkraftwerken

Angesichts der europaweiten Energiekrise hat die EU-Kommission die Regeln zur Einbeziehung von Atomkraft in die EU-Taxonomie zu nachhaltigen Investitionen festgelegt. Damit hat sie die Kernkraft zur nachhaltigen Energieform erklärt. Bei der Stromerzeugung mit Atomenergie werden keinerlei CO₂ oder andere Luftverschmutzungen freigesetzt. Insofern ist die Taxonomie-Einstufung nachvollziehbar.

Die deutsche Regierung ist jedoch anderer Meinung. Sie sehen die Gefahren sehr schwerer Kraftwerkshavarien (GAU und Super-GAU) mit großen Schäden und Freisetzung lebensgefährlicher Strahlung im weiteren Umfeld des betroffenen Kraftwerks als schwerwiegender an. Sie bezeichnen daher AKWs weiterhin als Hochrisikotechnologie.

Darüber hinaus ist weltweit immer noch nicht die Frage der sicheren Endlagerung ausgebrannter Brennstäbe geklärt. Die Brennstäbe strahlen nach ihrer Verwendung in AKWs noch mehrere 1.000 Jahre und stellen demnach eine ernste Gefahr für Mensch und Umwelt dar.

In den Jahrzehnten der Nutzung haben Technik und Sicherheit der Kernkraftwerke große Fortschritte gemacht. Deutsche AKWs gelten weltweit als die effektivsten und sichersten. Da Kernkraft aber seit gut 20 Jahren in Deutschland nicht mehr gefragt ist, ist der einstmalige Wissensvorsprung deutscher Wissenschaftler und Techniker nicht mehr vorhanden. Studienfächer und Facharbeiterausbildungen auf diesem Gebiet gibt es nicht mehr. Das gilt mittlerweile auch für das Betriebspersonal von AKWs. Für den Neubau eines AKWs stünde demnach kein geschultes Personal zur Verfügung.

Damit steht Deutschland im Widerspruch zu vielen Staaten in der EU sowie weltweit. Etliche Länder haben zur langfristigen Lösung der Energiekrise und gleichzeitigen Verringerung der Nutzung fossiler Energieträger für die Stromproduktion den Bau einer Vielzahl von Kernkraftwerken angekündigt.

Das deutet darauf hin, dass diese Länder wenig Vertrauen in die Stromerzeugung aus den erneuerbaren Energien Sonne und Wind setzen. Denn der Bau eines AKW dauert mehrere Jahre. Und Atomstrom kostet erheblich mehr als Strom aus Sonne und Wind. Zum Beispiel werden die Kosten pro Kilowattstunde (kWh) Atomstrom mit 34 Cent angegeben. Solarstrom kostet hingegen nur 9 Cent pro kWh.

 

Gibt es AKW-Notfallreserven in Deutschland?

Eine offizielle AKW-Notfallreserve existiert nicht. Allerdings gibt es noch die Ende 2021 abgeschalteten Kernkraftwerke. Sie könnten möglicherweise reaktiviert werden.

Allerdings müssten die AKWs vor Wiederinbetriebnahme umfangreichen Tests und Zertifizierungen unterworfen werden. Und schließlich wäre die Beschaffung neuer Brennstäbe notwendig, die im günstigsten Fall mehrere Monate in Anspruch nimmt.

Wegen der geschilderten Probleme gibt es auch in anderen Ländern keine AKWs in Reserve. Von Frankreich ist bekannt, dass 27 der 56 Atomkraftwerke außer Betrieb sind. Präsident Macron hat zwar angekündigt, dass alle Reaktoren bis Februar 2023 wieder ans Netz gehen sollen. Angesichts des Wartungsstaus, fehlender Fachkräfte und fehlender Produktionskapazitäten für maßgefertigte Ersatzteile erscheint das wenig realistisch.

 

Welche Alternativen gäbe es noch?

Parallel zum Atomausstieg arbeitet Deutschland am Kohleausstieg. Die Nutzung von Kohlekraftwerken soll spätesten 2038 beendet werden. Die aktuelle Regierungskoalition will den Ausstieg sogar auf 2030 vorziehen. Dem steht die aktuelle Energiekrise entgegen.

Um die durch fehlendes Erdgas als Energieträger entstandene Stromlücke zumindest teilweise zu schließen, wurden bereits ein paar Steinkohlekraftwerke in Betrieb genommen. Dazu musste teure Steinkohle auf dem Weltmarkt eingekauft werden.

Auch heimische Braunkohle stünde als Alternative zur Debatte. Aber Braunkohle produziert noch wesentlich mehr klimaschädliche Abgase als Steinkohle. Auch der Abbau des Brennstoffs im Tagebau verursacht große Umweltschäden. Deshalb ist die erneute Verstromung durch Braunkohle unrealistisch.

Zu guter Letzt wäre die verstärkte Nutzung der heimischen Erdgasvorkommen möglich. Der Abbau müsste allerdings mit Fracking erfolgen, das als sehr umweltschädlich gilt. Deshalb zieht die Regierung diese Alternative nicht in Erwägung.